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Channel: Talent im ÖPNV – Zukunft Mobilität
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Fünf Thesen zum Stand des Öffentlichen Verkehrs in Deutschland

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Im Rahmen der Auszeichnung “Talent im ÖPNV” durch den Verband Deutscher Verkehrsunternehmen hatte ich die Gelegenheit, ein paar Worte an die versammelten Mitgliedsunternehmen des VDV zu richten. Da vorrangig die Leitungsebene mit entsprechender Strategie- und Entscheidungskompetenz anwesend war, habe ich die Möglichkeit genutzt, fünf Thesen über öffentlichen Verkehrsunternehmen und den öffentlichen Verkehr in Deutschland vorzutragen.

These 1: Die deutsche Verkehrsbranche (mit Ausnahme der Automobilindustrie) gehört zu den innovationsfeindlichsten Branchen überhaupt!

Wenn man den internationalen Vergleich wagt, so fällt einem verstärkt auf, dass Deutschland bei Innovationen im öffentlichen Verkehr recht lange braucht. Insbesondere kleine und mittlere Verkehrsunternehmen können Innovationen auch aufgrund der finanziellen Situation nicht schnell genug ein- und umsetzen. Dies soll aber keineswegs als Ausrede gelten, da es auch technische und organisatorische Neuerungen gibt, die nicht mit großen Investitionen verbunden sind (siehe auch These 2-5).

Hinzu kommt, dass deutsche Verkehrsunternehmen sehr viel Zeit mit Standardisierung und technischen Spezifikationen verbringen. Der VDV ist hier sicherlich eine der wichtigsten Instanzen, die leider nicht nur koordinieren, sondern auch bremsen. Die Befindlichkeiten einiger Mitgliedsunternehmen, die Diskussionen in einem hochpolitischen Umfeld und der stets vorhandene Streit ums Geld beschleunigen die existierenden Prozesse sicherlich nicht. Man darf sich schon fragen, wieso in London bereits seit zehn Jahren elektronische Fahrausweise (Oyster Card) existieren und in Deutschland gleichzeitig noch über die technischen Grundlagen diskutiert wird. Oder wieso in den Niederlanden in den Jahren 2005 – 2012 mit der OC-chipkaart flächendeckend eine Karte für den elektronischen Zahlungsverkehr und die Regelung der Zugangsberechtigung für den öffentlichen Verkehr eingeführt wurde und wir davon sogar in den meisten Verkehrsverbünden noch weit entfernt sind?

Die gleiche Argumentation trifft auch auf die Fahrgastinformation zu. Ich habe auf der VDV-Jahrestagung sehr oft den Satz “Wir brauchen jetzt auch eine App” oder “Wer braucht schon solchen Schnickschnack?” gehört. Ich denke, beide Aussagen verdeutlichen sehr gut die Problematik, die ich mit meiner These anprangern möchte. Sie ist auch eng mit These 3-5 verbunden.

These 2: Das Taxi ist wie das Fahrrad ein Freund des ÖPNV und kein Feind!

Dass die Konkurrenzsituation zwischen Taxi und ÖPNV nicht wirklich gegeben ist, belegt der Artikel “Welche Rolle spielen Taxis für den ÖPNV?” recht gut. Diese Synergien und komplementären Netzeffekte gilt es zu nutzen. Als Beispiel kann beispielsweise Hannover MOBIL dienen, die Ergänzung des Jahresabos zu einem kompletten Mobilitätspaket mit BahnCard 25, Vergünstigungen beim Carsharing und 20 Prozent Rabatt auf Taxifahrten.

These 3: Wir Deutschen müssen endlich akzeptieren, dass wir aus Schwellen- und Entwicklungsländern sehr viel lernen können. Nicht das technisch maximal Machbare ist anzustreben, sondern aus möglichst wenig das Beste herauszuholen.

Die finanzielle Situation deutscher Kommunen und die uneinheitlichen und in Zukunftswegen der Schuldenbremse stark eingeschränkten Fördermöglichkeiten gebieten dies. Bus Rapid Transit kann als gutes Beispiel dafür dienen, Technologie aus Schwellenländern zu übernehmen. Die brasilianische Stadt Curitiba kann für sich beanspruchen, dieses Konzept als erstes (1968) flächendeckend in einer Großstadt umgesetzt zu haben, bzw. wurde es dort quasi „neu erfunden“ und laufend verbessert. Die Erfolge damit ließen die Schnellbusse und die Verkehrsplanung von Curitiba zum Vorbildsystem für andere Großstädte werden. Bus-Rapid-Transit-Systeme finden sich mittlerweile auf der ganzen Welt, besonders konsequente Umsetzungen wurden so auch in Adelaide, Brisbane, Bogotá, Ottawa, Jakarta und Istanbul durchgeführt. Viele amerikanische und europäische Städte planen ebenfalls die Einführung eines BRT-Systems.

These 4: Datenbasierte Verkehrsplanung eröffnet viele neue Möglichkeiten.

Hubway Trip Explorer
Screenshot des Hubway Trip Explorer von Andy Woodruff

Heutige Verkehrsplanung basiert vor allem auf Verkehrserhebungen, die in relativ großen Abständen durchgeführt werden. Aus umfangreichen Befragungen und Zählungen werden Stärke und Richtung von Verkehrsströmen ermittelt. Durch das Erhebungsdesign und die Stichprobengröße wird versucht, die Grundgesamtheit möglichst gut abzubilden und die Grundlage für Netz- und Investitionsentscheidungen zu schaffen.

In heutiger Zeit ginge es jedoch auch einfacher: Mobilfunkprovider verkaufen anonymisierte Nutzerdaten, die sich auch für die Verkehrsplanung nutzen lassen. Google und TomTom greifen für ihre Navigationslösungen auf derartige Daten zurück und bilden damit in Google Maps und anderen Navigations-/Kartenanwendungen die Verkehrsstärke und Stauanfälligkeit ab.

Durch die Verarbeitung von GPS- und Mobilfunkdaten kann eine sehr große Stichprobe über einen längeren Zeitraum gezogen werden, die eine bessere Datenqualität für die Verkehrsplanung liefert. Zudem lassen sich einzelne Relationen und Stadtviertel isoliert betrachten. Dadurch kann beispielsweise die Nachfrage nach einer einzelnen Linie besser abgebildet und geplant werden. Bei ausreichend Rechenkapazität und den entsprechenden effizienten Algorithmen dürfte sich sogar eine Echtzeitkomponente etablieren lassen.

These 5: Nutzt endlich mehr Social Media im ÖPNV, um mit dem Fahrgast in Kontakt zu treten!

Eine relativ günstige, personenbezogene und streuungsarme Möglichkeit der Kundeninformation kann in heutigen Zeiten über Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook abgebildet werden. Als Beispiel für die versammelten Verkehrsunternehmen diente mir der Twitterkanal der Dresdner Verkehrsbetriebe, den ich bereits mehrfach gelobt habe.

DVB Twitter Lob und Hinweise
Links: Ausgewählte Tweets der DVB AG, rechts: Lob von Fahrgästen über die gute Information am 13.02.2013 (Tag des Naziaufmarsches in Dresden mit vielen Störungen im Netz)

Neben einer höheren Kundenzufriedenheit können und müssen soziale Netzwerke auch als Rückkanal genutzt werden. So melden Fahrgäste Beschädigungen und Fehlfunktionen (siehe linke Seite) über Twitter. Dies hilft nicht nur bei der Verbesserung des Angebots, sondern auch bei Diskussionen um das allgemeine ÖPNV-Angebot. So kann beispielsweise eine hohe Verbundenheit der Fahrgäste mit dem ÖPNV-Angebot nachgewiesen werden, was vor allem bei Diskussionen mit der politischen Ebene hilft.

Hinzu kommt, dass soziale Netzwerke Informationen bei Sonderveranstaltungen und unvorgesehenen Ereignissen schnell und relativ breit verteilen. So setzten die Magdeburger Verkehrsbetriebe bei der Flut 2013 sehr stark auf soziale Netzwerke, um Streckensperrungen und Notfahrpläne zu kommunizieren. 

Aufgrund der im Vergleich mit anderen Fahrgastinformationssystemen relativ geringen Betriebs- und Implementierungskosten sollten soziale Medien auch bei kleinen Verkehrsunternehmen, die eventuell sogar im ländlichen Raum operieren, eine viel größere Rolle spielen.

Dies waren meine fünf Thesen zum Stand des öffentlichen Verkehrs in Deutschland. Weitere Vorschläge sind in den Kommentaren gerne gesehen und ausdrücklich erwünscht!


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